Fachliche, parteiliche und solidarische Handlungsperpektiven in der Sozialen Arbeit im Umgang mit den Verboten von geschlechtergerechter Sprache
Vor etwas mehr als einem Jahr hat die Sektion Gender und Queer Studies der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit ihre Stellungnahme „Warum wir nicht auf das ‘Gendern mit Sonderzeichen’ verzichten werden!“ veröffentlicht. Die Sektion brachte damit ihre Besorgnis über die öffentlichen Debatten einer Infragestellung der Nutzung einer geschlechtergerechten und diskriminierungssensiblen Sprache zum Ausdruck und schlossen sich den kritischen Positionen zahlreicher Kolleg*innen aus der Geschlechterforschung und der Gleichstellungsbeauftragten an. Seither hat sich die Diskussion um das sogenannte „Genderverbot“ weiter verschärft. Mehrere Bundesländer — darunter Bayern, Brandenburg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein — haben Regelungen getroffen, die die Verwendung geschlechtergerechter Sprache mit Sonderzeichen in Bildungs- und Verwaltungskontexten einschränken oder gar verbieten.
Diese Entwicklungen stellen nicht nur eine Herausforderung für die Praxis dar, sondern werfen auch grundlegende Fragen innerhalb der Disziplin und Profession der Sozialen Arbeit auf: Welche Rolle spielt und soll diskriminierungssensible und inklusive Sprache spielen, z. B. im Zusammenhang mit der Perspektive von Adressat*innenorientierung in der Sozialen Arbeit? Wie können emanzipatorische und demokratische Strategien, die über Sprache transportiert werden, trotz politischer Angriffe verteidigt, weiterentwickelt und umgesetzt werden?
Fachlicher Austausch
Vor diesem Hintergrund haben Mitglieder der Sektion Gender und Queer Studies in der Sozialen Arbeit eine Veranstaltung organisiert in und gemeinsam mit dem Netzwerk „Verbinden & Verbünden – intersektionale und queerfeministische Perspektiven in der Sozialen Arbeit“, der Hochschule Zittau/Görlitz, der Ev. Hochschule Darmstadt sowie dem Gender- und Frauenforschungszentrum der Hessischen Hochschulen (gFFZ) zu einem fachlichen Austausch eingeladen.
Im Rahmen eines hybriden Fachtages „Speak up! Fachliche, parteiliche und solidarische Handlungsperspektiven in der Sozialen Arbeit im Umgang mit den Verboten von geschlechtergerechter Sprache“ wurden Diskussionsräume geschaffen, um sich über die Bedeutung und die Nutzungsmöglichkeiten von geschlechtergerechter, inklusiver und diskriminierungssensibler Sprache in der Sozialen Arbeit zu verständigen. Fachkräfte, Studierende, Vertreter*innen von Initiativen sowie Lehrende und Forschende sind in den Dialog getreten, um gemeinsame Positionen und (professions)politische Strategien zu entwickeln. Hier geht es zum Flyer des Fachtags: https://f-s.hszg.de/fakultaet/fachtag-im-hybrid-format
Inspirierende Keynotes
Eingeleitet wurde der Fachtag, welcher von über 200 Personen besucht wurde, durch eine sozialarbeiterische Perspektive von Ioanna M. Menhard und Monique Ritter, in dem die Hintergründe zum Fachtag, disziplinäre und interdisziplinäre Theorie- und Empirie Bezüge sowie eine fachpolitische Positionierung der Sozialen Arbeit herausgearbeitet wurden. Es folgten Keynotes von Zara Jakob Pfeiffer, freiberufliche*r Referent*in, über Machtverhältnisse im Kontext Sprache und Verletzbarkeiten. Im Zentrum stand die Frage: Wie wir Sichtbarkeiten verhandeln und warum es so schwer ist diskriminierungsfrei zu sprechen? und von Ulrike Lembke, feministische Rechtswissenschaftlerin. Sie setzte sich in ihrem Vortrag mit „Sprachverboten und Geschlechtsdiskriminierung“ auseinander und beleuchtete die Thematik aus juristischer, verfassungsrechtlicher und politischer (Handlungs-)Perspektive.
Vielfältige Workshops – ein Forum für Austausch
Am Nachmittag standen online und in Präsenz insgesamt 13 Workshops zu verschiedenen Dimensionen, Aspekten und (Aus-)Wirkungsfeldern geschlechtergerechter Sprache und ihrer Verbote zur Auswahl und wurden von Referent*innen aus Praxis und Forschung sowie queerfeministisch intersektionalen Initiativen, Vereinen und Projekten – vor allem aus Hessen und Sachsen – angeboten. Themenschwerpunkte waren hier geschlechtergerechte Bildungsarbeit, Ansprache von queeren Jugendlichen, Adressierungsweisen im Bereich Flucht und Asyl, geschlechtliche Vielfalt und leichte Sprache, aktuelle Sprachpolitiken im wissenschaftlichen Alltag, kreativer Umgang mit Genderverboten, Bedarfe trans*, inter* und nicht binärer Kinder und Jugendlichen, Auswirkungen auf Schulsozialarbeit, geschlechtergerechte (An)Sprache und Kindeswohl, sowie gegenseitiges verbinden und stärken.
Ein Blick nach vorn
Um die Diskussionen und Ergebnisse der Workshops weiterzutragen, wurden die Teilnehmer*innen in der Abschlussrunde gebeten, ihre zentralen Erkenntnisse als Forderungen an die politisch Verantwortlichen zu formulieren.
Dabei wurde neben der konkreten Forderung der Rücknahme der Sprachverbote auch deutlich gemacht, dass Politik das Wissen um Lebensrealitäten von marginalisierten und von Gewalt betroffenen Gruppen ernst nehmen, Fachlichkeit und Expertise anerkennen sowie gesellschaftliche Spannungs- und Aushandlungsfelder aushalten und im Sinne eines demokratischen Prozesses verstehen und positiv begleiten sollte.
To be continued …
Die Auseinandersetzung mit geschlechtergerechter Sprache in der Sozialen Arbeit zeigt: Sprache ist mehr als ein kommunikatives Werkzeug — sie ist ein zentraler Bestandteil von Inklusion und Gerechtigkeit.
Die Ergebnisse und Diskussionen des Fachtages verdeutlichen, dass Soziale Arbeit in Praxis, Profession und Disziplin weiterhin aktive Auseinandersetzungen zur Förderung und Weiterentwicklung geschlechtergerechter Sprache benötigt. Dies erfordert auch einen kritischen Umgang mit politischen Entscheidungen aus fachlicher Perspektive, eine klare Positionierung und Solidarisierung mit Betroffenen queerfeindlicher Gewalt und die Entwicklung kreativer Handlungsstrategien. 2025 werden wir unser Bestreben, Energien zu bündeln und solidarische Netzwerke zu entwickeln fortsetzen und (noch) lauter sprechen.
Aus der Sektion „Gender und Queer Studies in der Sozialen Arbeit“ der DGSA und dem Netzwerk „Verbinden & Verbünden – intersektionale und queerfeministische Perspektiven in der Sozialen Arbeit“: Kerstin Balkow (sie/ihr), Ioanna M. Menhard (sie/ihr), Monique Ritter (sie/ihr), Elke Schimpf (sie/ihr)
Empfehlungen zur weiteren Lektüre
Bundesverband Trans* (BVT*): Unterstrich, Sternchen oder Doppelpunkt? Warum wir schreiben, wie wir schreiben, www.bundesverband-trans.de/geschlechtergerechte_sprache/
Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e. V. (DBSV): Gendern, www.dbsv.org/gendern.html
Lucia Clara Rocktäschel (2020): Gendern in Leichter Sprache – eine Anleitung, www.genderleicht.de/gendern-in-leichter-sprache-anleitung/
Thomas Tews (2024): Geschlechtergerechte Sprache verbieten? Im Korsett des binären Genderns. www.gender-blog.de/beitrag/geschlechtergerechte-sprache-verbieten-gendern
Inga Nüthen (2024): Ist das noch Sprache oder schon autoritäre (Geschlechter-)Politik? https://geschichtedergegenwart.ch/ist-das-noch-sprache-oder-schon-autoritaere-geschlechter-politik/
Verfassungsblog: https://verfassungsblog.de/author/ulrike-lembke/
Yan Zirke (2023): Wie du nicht-binäre junge Menschen unterstützen kannst. Es gibt mehr als zwei Geschlechter – und jetzt? Was Nicht-Binarität bedeutet und wie Pädagog*innen Haltung zeigen. https://www.geschlechtersensible-paedagogik.de/magazin/aus-der-praxis/wie-sie-nicht-binaere-junge-menschen-unterstuetzen-koennen/